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LASST UNS MIT FRAUENORGANISIERUNG UND SELBSTVERTEIDIGUNG
PATRIARCHALE GEWALT ÜBERWINDEN

 

Wir leben in einer Zeit, in der das patriarchale-kapitalistische System überall auf der Welt seine Gewalt gegen Frauen konzentriert und einen systematischen Angriffskrieg führt. Dieser Krieg besitzt die Dimension eines Feminizids. Auch, wenn sich die Form und Art der Angriffe gegen Frauen von Region zu Region unterscheiden, so müssen wir doch von einem universellen Krieg des patriarchalen Systems gegen Frauen sprechen. Dieser frauenfeindliche Krieg wird heutzutage auf brutalste Weise durch Banden, wie der Islamische Staat im Mittleren Osten und Boko Haram in Nigeria, geführt. Als Konsequenz werden Tausende Frauen als Kriegsbeute in Gefangenschaft genommen und auf Sklavenmärkten verkauft, systematisch und durchgehend Vergewaltigungen ausgesetzt, sowie massakriert. Niemals zuvor sind soviele Menschen aufgrund von Krieg zur Flucht gezwungen worden. Niemals zuvor in unserer Geschichte sind soviele Menschen im eigenen Land zu Flüchtlingen und mit intensiver und vielseitiger Gewalt konfrontiert worden.

 

In vielen europäischen Ländern werden von Frauen mit Kampf und Widerstand erlangte Selbstbestimmungsrechte beschnitten. Frauen werden immer stärker in die Prekarität getrieben, ihre Arbeitskraft, ihr Körper und ihre Seele werden ausgebeutet. Die strukturelle Gewalt gegen Frauen in allen Lebensbereichen nimmt nicht ab, sondern im Gegenteil immer weiter zu. Vielerorts in Asien, vor allem in Indien, nimmt sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen, wie eine Pest zu und zeigt sich in Form von Massenvergewaltigungen. In Lateinamerika haben Frauenmorde mittlerweile die Dimension eines Feminizids erreicht.

 

Dass diese Angriffe des patriarchalen-kapitalistischen Systems auf globaler Ebene zu Beginn des 21. Jahrhunderts so stark zunehmen und die Dimension eines systematischen Kriegs erlangen, ist kein Zufall. Die sich in einer Krise befindende kapitalistische Moderne muss ihr Ausbeutungsfeld erweitern, um sich reproduzieren und ihre Existenz weiterführen zu können. Dafür setzt sie sich vor allem die Frau als Hauptziel. Denn bei der Frau handelt es sich um die erste versklavte und ausgebeutete gesellschaftliche Gruppe. Die kapitalistische Moderne hat vor allem durch die Ausbeutung und Besatzung des weiblichen Körpers, ihrer Arbeitskraft, ihrer Gedanken- und Gefühlswelt, die Seele ihrer Entwicklung gezeigt. In keinem anderen Zeitalter ist die Frau derart zum Objekt grenzenloser Ausbeutung erklärt worden. Ausgehend von dieser Realität hat die patriarchale-kapitalistische Zivilisation eine neue Angriffswelle gegen Frauen in allen Bereichen des Lebens gestartet, um so seine Krise zu bewältigen und sich zu reorganisieren.

Dass das System seine Angriffe gegen Frauen dermaßen konzentriert steht direkt in Verhältnis mit dem von Frauen erreichten Befreiungsgrad. Eine Frau mit starkem Bewusstsein und Willen, eine Frau, die sich selbst als Subjekt sieht, stellt aus Sicht des kapitalistischen Systems eine Gefahr dar. Denn dieses System sichert seine eigene Existenz durch die Versklavung und Ausbeutung der Frau. Dadurch, dass auf globaler Ebene der Organisierungsgrad, das kollektive Wissen und die Deutungskraft von Frauen zunimmt und dadurch der Kampf für Befreiung stärker wird, macht Frauen aus Sicht des Systems zu einer Zielscheibe, denn starke Frauen schwächen das patriarchale-kapitalistische System. Die Gewalt an Frauen ist eine Konsequenz daraus. Im Kern dieses Systems liegt die patriarchale-kapitalistische-etatistische Geisteshaltung, welche die Frau zum Objekt grenzenloser Ausbeutung erklärt. Diese Geisteshaltung hat auch noch die winzigsten Zellen der gesamten Gesellschaft erfasst und reproduziert sich ständig weiter. Aus diesem Grund muss der Kampf gegen Gewalt an Frauen ins Zentrum gesetzt werden, da die Gewalt durch patriarchale Geisteshaltung und Mechanismen, sowie ideologische Instrumente, reproduziert wird. Um Gewalt an Frauen zu überwinden, muss dies umfassend gedeutet und analysiert werden.

 

Als Kurdische Frauenbefreiungsbewegung verfügen wir in diesem Feld über große Erfahrung, welche wir mit den Frauen der Welt teilen möchten. Wir kurdischen Frauen werden auf intensive Weise mit jeglichen Ausdrucksweisen misogyner Gewalt – von Staatsgewalt zu häuslicher Gewalt, von Chauvinismus zu Rassismus, von ökonomischer Gewalt zu Zerstörung der Natur, von Vergewaltigung zu Frauenmorden, von psychologischer zu struktureller Gewalt – konfrontiert. Sowohl als Geschlecht als auch als Nation und Klasse werden wir einer dreidimensionalen Gewalt ausgesetzt. Aus diesem Grund führen wir einen vieldimensionalen Kampf für Freiheit, indem wir die Gesamtwirklichkeit des Systems, das uns zerstören will, ideologisch deuten. Wir glauben daran, dass der effektivste Kampf gegen das System den Aufbau eines alternativen Systems bedingt. Auf diese Weise organisieren wir uns.

Patriarchale Geisteshaltung und jegliche Form von misogyner Gewalt kann nur durch Frauenorganisierung und Selbstverteidigung aufgehoben werden. Unser seit über 30 Jahren andauernder Kampf für Frauenbefreiung hat diese Realität auf die Tagesordnung gebracht.

Jede Frau an jedem Ort auf der Welt benötigt Organisierung und Selbstverteidigung. Eine unorganisierte Frau, die über keine Selbstverteidigung verfügt, kann konfrontiert mit den Angriffen des Systems, weder ihre Existenz bewahren noch ihre Befreiung vollziehen. Eine unorganisierte Frau ist schutzlos. Für eine wahre Befreiung ist der gemeinsame organisierte Kampf der Frauen notwendig. Aus diesem Grund sollten wir uns nicht mit individuellen Identitäten, sondern mit der Identität der organisierten Frau am sozialen und politischen Prozess beteiligen.

Der heldenhafte Widerstand der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung und ihrer Selbstverteidigungskräfte gegen den Islamischen Staat, vor allem in Kobanê und Sinjar/Schengal, hat überall auf der Welt große Bewunderung erfahren. Dieser Widerstand wird nicht nur für die Verteidigung Kurdistans, sondern der Verteidigung der Menschheit, ihrer Werte und der Befreiung der Frau wegen geführt. Dies ist auch weltweit allgemein anerkannt worden. Jedoch stellt Selbstverteidigung für uns nicht nur die bewaffnete Verteidigung gegen feindliche Angriffe dar. Für uns bedeutet Selbstverteidigung, die Verteidigung und dementsprechend die Umsetzung unserer Träume, unserer Hoffnungen, unserer Utopien. Selbstverteidigung ist nicht nur reagieren, sondern muss zugleich auch aktives Handeln beinhalten. Die effektivste Selbstverteidigung ist der Aufbau unseres alternativen, freien Systems, in dem wir unsere Träume, unsere Hoffnungen und unsere Utopien leben können.

In diesem Zusammenhang stellt das Demokratische-, Ökologische-, Frauenbefreiungsparadigma, das Abdulllah Öcalan vorangetrieben hat, für alle Frauen der Welt einen horizonterweiternden wichtigen Beitrag dar. Abdullah Öcalan, der seit fast 18 Jahren, als Resultat einer NATO-Operation, in der Türkei in extremer Isolationshaft gefangen gehalten wird, ist zugleich auch größter Genosse der kurdischen Frauenbewegung. Das von ihm vorangetriebenen Paradigma beinhaltet eine wichtige Lösungsperspektive für Frauenbefreiungsbewegungen in den Bereichen ideologische Vertiefung, Organisierung und Selbstverteidigung. Als kurdische Frauen fordern wir an dieser Stelle noch einmal die Freiheit für Abdullah Öcalan und verurteilen die rechtlose und illegitime NATO-Operation, durch die er gefangen genommen wurde.

 

Krieg und Genozid stellen die schwerste Form von Gewalt an Frauen dar. Heute werden wir in drei Teilen Kurdistans – in der Türkei, in Rojava und im irakischen Kurdistan – mit dem genozidalen Krieg des türkischen faschistischen Regimes unter Führung von Erdogan und seiner AKP konfrontiert. Dieses faschistische, diktatorische Regime führt nicht nur einen Krieg gegen das gesamte kurdische Volk, allen voran kurdische Frauen, sondern führt zugleich auch illegale Luftangriffe gegen die kurdische Freiheitsbewegung im Nordirak durch und macht schmutzige Pläne für eine grenzübergreifende Bodenoffensive. Hinzu kommt, dass die AKP, welche es mit Unterstützung des IS nicht gelungen ist, Kobane zu besiegen, nun plant, zusammen mit Elementen der sog. Freien Syrischen Armee den Kanton Afrin von Rojava abzutrennen und zu umzingeln, um hier ein zweites Kobane anzurichten.

 

Wir kurdischen Frauen rufen zum diesjährigen 25. November alle Frauen der Welt dazu auf, den türkischen Faschismus, der versucht dem Nazi-Deutschland von 1933 in der Türkei nachzueifern, aufzuhalten und sich hierfür zu erheben. Wir rufen alle Frauen und Unterdrückte dazu auf, sich am gemeinsamen Kampf gegen das patriarchale System zu beteiligen. Wenn wir alle in unseren eigenen lokalen Strukturen einen organisierten Kampf mit universeller Perspektive führen, können wir das patriarchale-kapitalistische Weltsystem besiegen und unser eigenes demokratisches, ökologisches, Frauenbefreiendes System aufbauen. Dies können wir schaffen!

 

Gemeinschaft der Frauen aus Kurdistan – KJK

November 2016

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