Im Stil des Schemas von Revolutionen und Konterrevolutionen des historischen Materialismus schlage ich vor, die bemerkens- werten Wendepunkte in der Geschichte der Beziehungen zwi- schen den Geschlechtern sexuelle Umbrüche zu nennen. Die Geschichte hat zwei solcher Umbrüche gesehen und ich progno- stiziere, dass sie einen dritten sehen wird.
In den vorangegangenen gesellschaftlichen Kulturen existierte die organisierte Kraft des »starken Mannes« nur zum Zwecke der Jagd und der Verteidigung gegen äußere Feinde. Es war diese organisierte Kraft, die es auf den Familienklan abgesehen hatte, den die Frau mit ihrer emotionalen Arbeit aufgebaut hatte. Die Eroberung des Klans bildete die erste ernsthafte organisierte Gewalt. Was hier verdrängt wurde, war die Frau selbst, ihre Kinder, ihre Verwandten und all ihre materiellen und kulturellen Werte. Es war die Plünderung der Ur-Ökonomie, der Hauswirt- schaft. Die organisierte Kraft der Proto-Priester (Schamanen), der erfahrenen Alten und der starken Männer ging ein Bündnis ein, um die ursprüngliche und am längsten dauernde patriarchale Hierarchie, die der heiligen Herrschaft, zu etablieren. Dies beob- achten wir bei allen Gesellschaften auf der gleichen Stufe: Sowohl in der Klassengesellschaft als auch in der Stadt- und Staatsgesell- schaft ist diese Hierarchie im sozialen und ökonomischen Leben vorherrschend.
Obwohl sich die Situation schrittweise zuungunsten der Frau veränderte, waren in der sumerischen Gesellschaft die beiden Geschlechter bis ins zweite Jahrtausend v. Chr. mehr oder weniger gleichgestellt.
Die vielen Tempel für Göttinnen und die my- thologischen Texte aus dieser Zeit zeigen, dass zwischen 4000 und 2000 v. Chr. der Einfluss der Kultur der Frau/Mutter bei den Sumerern, dem Zentrum der Zivilisation, auf Augenhöhe mit dem des Mannes war. Bis dahin hatte sich noch keine Kultur der Scham um die Frau entwickelt.
Ab hier sehen wir den Beginn einer neuen Kultur, die sich durch Vorherrschaft über den Kult der Mutter auszeichnet. Die Entwicklung dieser Autorität und Hierarchie vor Beginn der Klassengesellschaft stellt einen der wichtigsten Wendepunkte der Geschichte dar. Diese Kultur unterscheidet sich qualitativ von der Frau-Mutter-Kultur. Das Sammeln und später auch der Ackerbau, die vorherrschenden Elemente der Frau-Mutter- Kultur, sind friedliche Aktivitäten, die keine Kriegführung benö- tigen. Das Jagen, das überwiegend von Männern betrieben wird, beruht jedoch aufder Kriegskultur und strenger Autorität.
Es ist verständlich, dass der starke Mann, dessen Hauptaufgabe das Jagen war, die angehäuften Güter der matrizentrischen Ordnung begehrte. Die Herstellung der eigenen Vorherrschaft würde ihm viele Vorteile bringen. Die Organisierung der Macht, die er durch das Jagen gewann, gab ihm nun die Gelegenheit zu herrschen und die erste soziale Hierarchie einzuführen. Diese Entwicklung führte auch zum ersten Mal dazu, die analytische Intelligenz für bösartige Zwecke zu nutzen; dies wurde später systemisch. Die Ersetzung des Kultes der heiligen Mutter durch den Kult des heiligen Vaters ermöglichte außerdem der analyti- schen Intelligenz, sich durch Heiligkeit zu maskieren.
Folglich sollte der Ursprung unserer sozialen Probleme im Patriarchat gesucht werden, das kultartig wurde und quasi-religiös den starken Mann verherrlicht. Mit der Versklavung der Frau wurde dann auch der Grundstein für die Versklavung nicht nur von Kindern, sondern auch des Mannes gelegt. Je mehr Erfahrung der Mann mit der Anhäufung von Werten durch die Verwendung von Sklavenarbeit gewann (besonders durch An- häufung von Mehrwert), desto mehr wuchs auch seine Kontrolle und Herrschaft über diese Sklaven. Macht und Autorität wurden immer wichtiger. Die Zusammenarbeit des starken Mannes mit dem erfahrenen Alten und dem Schamanen bei der Errichtung einer privilegierten Schicht mündete in ein Machtzentrum, gegen das nur schwer Widerstand geleistet werden konnte. In diesem Zentrum entwickelte die analytische Intelligenz ein außer- gewöhnliches mythologisches Narrativ, um die Köpfe der Be- völkerung zu beherrschen. In der mythologischen Welt, die für die sumerische Gesellschaft zusammengesetzt (und durch die Zeiten weitergereicht) wurde, wird der Mann soweit überhöht, dass er als Schöpfer von Himmel und Erde vergöttert wird. Göttlichkeit und Heiligkeit der Frau wurden zuerst erniedrigt und dann ausgelöscht, während die Gesellschaft von der Idee des absolut herrschenden Mannes geprägt wird. So wurde durch ein großes Netzwerk an mythologischen Erzählungen jeder Aspekt der Kultur in eine Beziehung von Herrscher und Beherrschten, Schöpfer und Geschöpfen gehüllt. Die Gesellschaft wurde dazu verführt, diese mythologische Welt zu verinnerlichen, und mit der Zeit wurde sie zur bevorzugten Version. Anschließend erfolg- te die Umwandlung in Religion, eine Religion, die eine strenge Unterscheidung zwischen Menschen als Bauprinzip enthält. Die Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen zeigt sich beispielsweise in der Geschichte von Adams und Evas Vertreibung aus dem Paradies und ihrer Verdammung zur Knechtschaft. Solche Le- genden verliehen den sumerischen Gottkönigen schöpferische Macht; ihre Untertanen werden als Knechte neu geschaffen.
Die sumerische Mythologie kannte die Geschichte von der Schöpfung aus der Rippe eines menschengestaltigen Gottes – nur war es die Göttin Ninhursag, die diese Schöpfung durchführte,um das Leben des männlichen Gottes Enki zu retten.
Mit der Zeit wurde diese Geschichte zugunsten des Mannes verändert. Die sich wiederholenden Elemente der Konkurrenz und der Schöpfungsfähigkeit in den Mythen von Enki und Nin- hursag/Inanna haben zwei Funktionen: zum einen die Erniedri- gung der Frau und die Schmälerung ihrer vergangenen Kreativität und zum anderen die Symbolisierung der Schaffung des Men- schen als Sklave und Diener. (Ich glaube, dass diese zuletzt ge- nannte Auffassung der sumerischen Priester eine Rolle bei allen nachfolgenden Dualitäten von Gott und Diener gespielt hat. Die Feststellung dieser Tatsache ist entscheidend; trotzdem weicht die religiöse Literatur dem entweder aus oder weist sie unmittelbar zurück. Liegt dies daran, dass Theologen das Bedürfnis haben, die Wahrheit und somit ihre eigenen Interessen zu verschleiern?)
Die göttlichen Identitäten, die in der sumerischen Gesellschaft konzipiert wurden, spiegeln einen neuen Umgang mit der Natur und den neuen gesellschaftlichen Kräften wider, und mehr als das: sie sind beinahe eingesetzt worden, um das Bewusstsein neu zu konditionieren. Einhergehend mit dem abnehmenden Einfluss der natürlichen Dimension gewinnt die gesellschaftliche Dimen- sion an Einfluss; der Einfluss der Frau nimmt ab, und es gibt auffällige Entwicklungen, die den Menschen immer mehr als Untertanen und Sklaven zeigen. Während die wachsende politi- sche Macht in der Gesellschaft ihr Gegenstück in der höheren Bedeutung einiger Götter fand, gingen einige Identitäten verloren oder veränderten sich signifikant. Somit spiegelt sich die absolute Macht des Monarchen in der babylonischen Ära im Aufstieg des Gottes Marduk wider. Diese letzte Phase der sumerischen My- thologie zeigt, dass die Schwelle zur Geburt von monotheisti- schen Religionen erreicht wurde.
In einer Ordnung wie dieser, in der der Mann die Kinder be- sitzt, will der Vater so viele Kinder wie nur möglich (besondersmännliche Kinder, die zur Erlangung von Macht dienen).
Durch die Befehlsgewalt über die Kinder eroberte er die Akkumulation der Frau: somit war das Eigentum erfunden. Neben dem kollektiven Eigentum des Priester-Staates etablierte sich auch das Privateigentum von Dynastien. Im Umkehrschluss benötigte Pri- vateigentum auch die Errichtung der Vaterschaft: aufgrund dieser Vaterschafts-Rechte konnte das Erbe (hauptsächlich) nur an männliche Kinder weitergegeben werden.
Ab rund 2000 v. Chr. war diese Kultur weit verbreitet. Der so- ziale Status von Frauen änderte sich radikal. Die patriarchale Ge- sellschaft hatte die Kraft gewonnen, ihre Herrschaft legendär zu machen. Der Heroisierung und Erhöhung der Welt des Mannes steht die Herabsetzung, Erniedrigung und Schmähung alles Weiblichen gegenüber.
Dieser sexuelle Umbruch war so radikal, dass er zum größten sozialen Wandel in der Geschichte der Menschheit führte. Diese Veränderung der Kultur des Mittleren Osten können wir als ersten großen sexuellen Umbruch oder erste große Konterrevolu- tion bezeichnen. Ich rede von Konterrevolution, weil sie nichts Positives für die Entwicklung der Gesellschaft mit sich brachte. Im Gegenteil, indem sie die Frau durch die strikte Dominanz des Patriarchats von der Gesellschaft ausschloss, hinterließ sie eine große Armut im Leben. Dieser zivilisatorische Bruch im Mittle- ren Osten ist wohl der erste Schritt in eine immer schlechter werdende Situation, da die negativen Folgen dieses Bruches sich mit der Zeit vervielfältigten. Anstelle einer zweistimmigen Ge- sellschaft produzierte sie eine einstimmige, männliche Gesell- schaft. Ein Übergang in eine eindimensionale, extrem maskuline Kultur fand statt. Die emotionale Intelligenz der Frau, die Wunder geschaffen hat mit ihrer Menschlichkeit und Natur- verbundenheit, war verloren. An ihrer Stelle wurde die verfluchte analytische Intelligenz einer grausamen Kultur geboren, die sich
dem Dogmatismus auslieferte und sich von der Natur loslöste. Sie betrachtet den Krieg als erhabenste Tugend, genießt das Vergießen von menschlichem Blut und legitimiert die Willkür gegenüber der Frau und ihre Versklavung durch den Mann. Diese Intelligenz ist der Antitypus der egalitären Intelligenz der Frau, die auf eine menschliche Produktion und eine belebte Natur au- sgerichtet ist.
Der Mutter erging es wie der antiken Göttin; sie sitzt nun da- heim, eine keusche und gehorsame Frau. Weit entfernt von der Gleichheit mit den männlichen Göttern kann sie weder ihre Stimme erheben noch ihr Gesicht zeigen. Langsam wird sie in Schleier verhüllt und zu einer Gefangenen im Harem des starken Mannes.
Die Tiefe der Versklavung der Frau in Arabien (verstärkt durch Moses in der abrahamitischen Tradition) hängt mit dieser histo- rischen Entwicklung zusammen.