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Obwohl männliche Dominanz gut institutionalisiert ist, sind auch die Männer versklavt. Tatsächlich reproduziert sich das Sys- tem im männlichen und weiblichen Individuum und in ihrer Beziehung. Wenn wir das System besiegen wollen, brauchen wir deshalb eine radikale und neue Herangehensweise an Frau, Mann und ihre Beziehung.

Die Geschichte ist in einem gewissen Sinne die Geschichte des dominanten Manns, der mit dem Aufstieg der Klassengesellschaft Macht gewonnen hat. Der Charakter der herrschenden Klasse hat sich gleichzeitig mit dem dominanten männlichen Charakter ge- bildet. Auch hier wurde Herrschaft durch mythologische Lügen und göttliche Strafe bestätigt. Unter dieser Maske liegt die Reali- tät der blanken Gewalt und groben Ausbeutung. Im Namen der Ehre eroberte der Mann die Stellung und die Rechte der Frau auf äußerst heimtückische, verräterische und despotische Weise. Die Tatsache, dass im Laufe der Geschichte die Frau – die ewige Ge- fangene in den Händen des Mannes – ihrer Identität und ihres Charakters beraubt wurde, hat erheblich mehr Schaden ver- ursacht als die Klassenspaltung. Die Gefangenschaft der Frau ist ein Maß der allgemeinen Versklavung und des Abstiegs der Ge- sellschaft; sie ist auch ein Maß für ihre Lügen, ihren Diebstahl und ihre Tyrannei. Der dominante männliche Charakter der Ge- sellschaft hat bis heute nicht einmal die wissenschaftliche Analyse des Phänomens der Frau erlaubt Die grundlegende Frage ist, warum der Mann so eifersüchtig, dominant und schändlich ist, wenn es um die Frau geht; warum er immer wieder die Rolle des Vergewaltigers spielt.

 

Zweifellos sind Vergewaltigung und Herrschaft Phänomene, die mit der ge- sellschaftlichen Ausbeutung zusammenhängen; sie reflektieren die Vergewaltigung der Gesellschaft durch Hierarchie, Patriarchat und Macht. Wenn wir ein wenig tiefer blicken, werden wir sehen, dass diese Handlungen auch einen Verrat am Leben ausdrücken. Die vielfältige Verbindung zwischen Frau und Leben könnte den gesellschaftlichen Sexismus des Mannes aufklären. Der gesell- schaftliche Sexismus bedeutet den Verlust von Reichtum des Le- bens unter dem blendenden und erschöpfenden Einfluss des Sexismus und dem daraus folgenden Anstieg der Wut, Vergewaltigung und einer dominierenden Haltung.

Deshalb ist es wichtig, das Problem des Mannes auf die Tages- ordnung zu setzen, das viel ernster ist als die Frage der Frau. Es ist wahrscheinlich schwieriger, die Konzepte von Herrschaft und Macht zu analysieren – Konzepte, die im Bezug zum Mann ste- hen. Es ist nicht die Frau, sondern der Mann, der nicht bereit ist sich zu ändern. Er fürchtet, dass der Verzicht auf seine Rolle als dominierende männliche Figur ihn in die Position des Mo- narchen bringen würde, der seinen Staat verloren hat. Ihm sollte bewusst gemacht werden, dass diese hohlste Form der Herrschaft ihn genauso der Freiheit beraubt und, sogar noch schlimmer, jegliche Reform verhindert.

Um ein sinnvolles Leben zu führen, müssen wir die Frau und ihre Rolle im gesellschaftlichen Leben bestimmen. Dies soll keine Aussage über ihre biologischen Eigenschaften und ihre gesell- schaftliche Stellung, sondern eine Analyse des allgemein wichti- gen Konzepts der Frau als Wesen sein. Wenn es uns gelingt, die Frau zu definieren, können wir vielleicht auch den Mann de- finieren. Den Mann zum Ausgangspunkt bei der Bestimmung

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der Frau oder des Lebens zu machen, führt zu ungültigen Interpretationen, weil die natürliche Existenz der Frau zentraler als die des Mannes ist. Die Position der Frau wurde von der männerdominierten Gesellschaft erniedrigt und unbedeutend gemacht, aber das sollte uns nicht daran hindern, ein gültiges Verständnis ihrer Realität zu entwickeln.

So ist es klar, dass der Körper der Frau nicht mangelhaft oder schlechter ist; im Gegenteil, der weibliche Körper ist zentraler als der des Mannes. Dies ist die Wurzel der extremen und sinnlosen Eifersucht des Mannes.

Die natürliche Folge ihrer unterschiedlichen Körper ist, dass die emotionale Intelligenz der Frau viel stärker als die des Mannes ist. Die emotionale Intelligenz ist mit dem Leben verbunden; sie ist die Intelligenz, die Empathie und Sympathie regelt. Auch wenn die analytische Intelligenz der Frau sich entwickelt, gibt ihr ihre emotionale Intelligenz das Talent, ein ausgeglichenes Leben zu leben, sich dem Leben zu widmen, nicht destruktiv zu sein.

Wir sehen schon durch diese kurze Argumentation, dass der Mann ein System ist. Der Mann wurde zum Staat und verwan- delte diesen in die dominante Kultur. Klassen und sexuelle Unterdrückung entwickelten sich gemeinsam; Die Männlichkeit hat das herrschende Geschlecht, die herrschende Klasse und den herrschenden Staat erzeugt. Wenn der Mann in diesem Zu- sammenhang analysiert wird, ist es klar, dass die Männlichkeit getötet werden muss.

In der Tat ist es das Grundprinzip des Sozialismus, den domi- nanten Mann zu töten. Das Töten der Macht bedeutet: die einseitige Dominanz, die Ungleichheit und die Intoleranz zu tö- ten. Darüber hinaus bedeutet es, Faschismus, Diktatur und De- spotismus zu töten. Wir sollten dieses Konzept erweitern, um all diese Aspekte einzuschließen.

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Die Befreiung des Lebens ist unmöglich ohne eine radikale Frauenrevolution, welche die Mentalität und das Leben des Mannes verändern würde. Wenn wir nicht imstande sind, Frie- den zwischen Mann und Leben und Leben und Frau zu stiften, dann ist Glück nur eine vergebliche Hoffnung. Die Gender-Re- volution betrifft nicht nur die Frau. Es geht um die 5000 Jahre alte Zivilisation der Klassengesellschaft, die den Mann in einen schlimmeren Zustand gebracht hat als die Frau. Somit würde diese Gender-Revolution gleichzeitig die Befreiung des Mannes bedeuten.

Ich habe oft über die »totale Scheidung« geschrieben, also die Fähigkeit, sich von der 5000 Jahre alten Kultur der männlichen Herrschaft zu trennen. Die weiblichen und männlichen Ge- schlechtsidentitäten, die wir heute kennen, sind Konstrukte, die viel später entstanden als die biologische Frau und der biologische Mann. Die Frau wurde seit tausenden von Jahren gemÃ¤ß dieser konstruierten Identität ausgebeutet; niemals für ihre Arbeit anerkannt. Der Mann muss darüber hinwegkommen, die Frau immer nur als Ehefrau, Schwester oder Geliebte zu sehen – Ste- reotypen, die von Tradition und Moderne geschmiedet wurden.

Es wäre nicht korrekt, zunächst die Frage des Staates und dann erst die Frage der Familie angehen zu wollen. Kein ernstes soziales Problem kann gelöst werden, wenn es isoliert angegangen wird. Eine weitaus effektivere Methode ist es, alles im Gesamtzu- sammenhang zu betrachten, um die Bedeutung jeder Frage in Zusammenhang mit ihren Beziehungen zu den anderen Fragen zu finden. Diese Methode gilt auch, wenn wir versuchen, Proble- me zu lösen. Die Analyse der gesellschaftlichen Mentalität ohne die Analyse des Staates, die Analyse des Staates ohne die Analyse der Familie und die Analyse der Frau ohne die Analyse des Mannes würden zu unzureichenden Ergebnissen führen. Wir müssen diese sozialen Phänomene als integriertes Ganzes analy- sieren; sonst werden alle unsere Lösungsversuche unzureichend bleiben.

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Die Lösungen für alle sozialen Probleme im Nahen Osten sollten die Stellung der Frau im Fokus haben. Das grundlegende Ziel für die bevorstehende Zeit muss sein, den dritten großen se- xuellen Umbruch zu verwirklichen; diesmal gegen den Mann. Ohne Gleichstellung der Geschlechter kann keine Forderung nach Freiheit und Gleichheit sinnvoll sein. In der Tat können Freiheit und Gleichheit nicht ohne die Verwirklichung der Gleichheit der Geschlechter realisiert werden. Die Freiheit der Frau ist die konstanteste und umfassendste Komponente der De- mokratisierung. Das Gesellschaftssystem ist besonders angreifbar wegen der ungelösten Frage der Frau. Zuerst wurde die Frau in Eigentum verwandelt, und heute ist sie eine Ware, vollständig, Körper und Seele. Die Rolle, welche die Arbeiterklasse einst spielte, muss nun von der Schwesternschaft der Frauen übernommen werden. Bevor wir also die Klassengesellschaft ana- lysieren können, müssen wir in der Lage sein, die Schwestern- schaft der Frauen zu analysieren – dies wird uns ermöglichen, ein viel klareres Verständnis für die Probleme von Klassen und Nationalität zu erlangen.

Die wahre Freiheit der Frau ist nur möglich, wenn es gelingt, all die versklavenden Emotionen, Bedürfnisse und Wünsche des Ehemannes, des Vaters, des Liebhabers, des Bruders, des Freundes und des Sohnes zu entfernen. Die tiefste Liebe erzeugt die ge- fährlichsten Fesseln des Eigentums. Wir werden nicht in der Lage sein, die Eigenschaften einer freien Frau zu erkennen, wenn wir nicht eine strenge Kritik an den von der männlich dominierten Welt erzeugten gedanklichen, religiösen und künstlerischen Mustern bezüglich der Frau üben.

Die Freiheit der Frau kann nicht einfach erwartet werden, wenn in einer Gesellschaft allgemeine Freiheit und Gleichheit erzielt wurden.

 

Eine separate und eigene Organisierung für die Befreiung der Frau ist von größter Wichtigkeit und sollte von ei- ner Größenordnung sein, die ihrer Bestimmung als Phänomen entspricht. Natürlich kann eine allgemeine Demokratisierungs- bewegung auch Chancen für die Frau eröffnen. Aber sie allein wird nicht die Demokratie mit sich bringen. Frauen müssen ihr eigenes demokratisches Ziel festlegen und organisierte Anstren- gungen unternehmen, um es zu erreichen. Dafür ist eine be- sondere Definition von Freiheit notwendig, damit die Frau sich von der in ihr verwurzelten Sklaverei befreien kann. 

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www.freeocalan.org

Den Mann töten Der dritte sexuelle Umbruch
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