top of page
Der türkische Kurdenkrieg – Eine aktuelle Situationsanalyse
​
Nilüfer Koc, Kurdistan Nationalkongress (KNK), 12.01.2017 http://civaka-azad.org
Der Irakbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Bagdad und Erbil schien der Öffentlichkeit gegenüber wie ein Tauschhandel. Die Türkei soll ihre Soldaten aus Bashiqa (Mosul) zurückziehen. Im Gegenzug sollen Bagdad und Erbil die PKK aus Sinjar (Shengal) herausdrängen. Die türkische Delegation legte für Letzteres drei Optionen auf den Tisch: Erstens – „ihr bekämpft die PKK“; Zweitens – „wir operieren gemeinsam“; drittens –   Wenn beides nicht geht, machen wir es eben selber mit unserer Armee.

Mit diesem Schlachtplan besuchte der türkische Ministerpräsident Yildirim am 7. und 8. Januar Bagdad und Erbil. Die Prioritäten, die Yildirim in seinen gemeinsamen Pressekonferenzen mit Abadi und Barzani äußerte, waren auf die PKK fokussiert. Sekundären Rang hatte die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Was diplomatisch auf diesen Pressekonferenzen umschnörkelt wurde, bedeutet politisch konkret: Kämpft ihr gegen die PKK, helfe ich euch bei euren wirtschaftlichen Problemen. Dem folgte auch die bekannte Drohung: Wenn ihr das nicht tut, werde ich mit meiner Armee die PKK in Sinjar bekämpfen. So einfach wie die Politik auf den Pressekonferenzen in Bagdad, Erbil und Ankara zwischen Binali Yildirim, Haydar al-Abadi und Masoud Barzani präsentiert wurde, ist es aber in der Realität nicht. Denn keiner von diesen Dreien kann seine Worte in Taten umsetzten, da sie alle sowohl mit innen- als auch außenpolitischen Problemen kämpfen müssen, und alle sowohl wirtschaftlich als auch militärisch derzeit mehr als überfordert sind. Der irakische Staat befindet sich ebenso wie die Türkei in einer Systemkrise. Und auch die kurdische Regionalregierung im Irak hat mit einer tiefen politischen Krise zu kämpfen.

Trio der Schwachen

Deshalb können derzeit weder Bagdad noch Erbil der Türkei helfen, auch wenn sie es wollten. Sie sind nämlich selbst auf Hilfe angewiesen. Die Türkei wiederum kann ebenfalls derzeit niemandem unter die Arme greifen.  Die Ursachen der gegenwärtigen Probleme im Irak und der Türkei mögen zwar auf dem ersten Blick politischer Natur wirken. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Systemkrise. Sie rühren aus den Staatsmodellen beider Länder her. An allen Ecken werden deshalb die Schreie nach neuen Verwaltungsmodellen lauter. Auch hilft es weder Bagdad noch der USA durch die gemeinsame militärische Befreiungsoffensive auf Mosul den Staat Irak zu stärken. Das Problem ist tiefgreifender.

Das Modell im Irak, welches die USA gemeinsam mit den schiitischen und den sunnitischen Arabern, sowie den Kurden verfassungsmäßig aufgestellt hat, büßt immer weiter seine Bedeutung ein. Der erhoffte politische Aufschwung des Staates durch die Befreiung Mosuls ist nicht vielversprechend, da die Frage, wie es nach der militärischen Befreiung aussehen soll, noch ungeklärt ist. Während Bagdad auf den alten Strukturen in Mosul beharrt, suchen die vom IS bedrohten Völker nach anderen Lösungen. Sie alle, ob Christen, ezidische Kurden, Shabak Kurden, schiitisch-sunnitische Turkmenen usw., suchen nach dem Recht der Selbstbestimmung. Das Verlangen nach Dezentralisierung des Staates Iraks wird immer lauter. Auch die Kurden im Norden  des Iraks fordern mehr Unabhängigkeit.

Mit denselben Herausforderungen hat auch die Türkei zu kämpfen. Die Nähte der alten Republik platzen. Allen voran die Kurden drängen auf eine demokratischer Autonomie, d.h. einer Dezentralisierung des Staates. Die Antwort der AKP hierauf ist den Staat in ein Ein-Man-System, also eine Diktatur, zu transformieren. Hierzu hat AKP/Erdogan eine neue Staatsverfassung entworfen,  welche momentan im türkischen Parlament debattiert wird. Schon melden sich die Hüter Atatürks zu Wort und bekunden ihr Misstrauen demgegenüber.

Sowohl die türkische Republik als auch das föderale Irak brauchen ein demokratisches System. Die auf pan-arabischer oder pan-türkistischer Doktrin basierenden Nationalstaaten haben keine Zukunftschance. Der Krieg des IS hat die Idee des nationalstaatlichen Systems nach Sykes-Picot und Lausanne auf den Kopf gestellt. Die Völker und Glaubensgemeinschaften der Region fordern Sicherheit, Freiheit und Demokratie, was diese Staaten nicht bieten können.

Ein ähnliches politisches Dilemma erleben wir auch im kurdischen Autonomiegebiet im Irak. Die Systemkrise in der KRG drückt sich in der wirtschaftlichen Misere aus. Die internen Probleme dringen nicht so sehr nach außen, da sie aufgrund der fast täglichen ranghohen diplomatischen Besuche aus dem Ausland in den Hintergrund gedrängt werden. Schon längst fordern die Menschen in Kurdistan keinen kurdischen Staat, sondern sie fordern Brot und Demokratie. Denn die Kluft zwischen Reich und Arm wächst von Tag zu Tag. Hier ist ein Kurdistan entstanden, das durch zwei Klassen charakterisiert ist: den Reichen und den Armen. Die Reichen sind zugleich auch die Regierenden. Sie glaubten in den letzten Jahren durch die Propagierung eines unabhängigen Staates die Menschen von den bestehenden sozialen Problemen ablenken zu können. Abgesehen von den Regierenden spricht keiner im kurdischen Autonomiegebiet über einen kurdischen Staat.

Lange Zeit wurde die PKK medial als Gegner eines Kurdenstaates präsentiert. Das fruchtete allerdings nicht, da die PKK erklärte, sie mische sich nicht in die interne Politik der KRG (Kurdistan Regional Government) ein. Stattdessen schlug sie vor unter anderem auch dieses Thema in einem Kurdistan Nationalkongress zu debattieren.

Die Gründung eines Kurdenstaates  ist ein jahrhundertealter Traum der Kurden gewesen. Nun sehen die Menschen im südkurdischen Autonomiegebiet allerdings, dass mit der Gründung eines eigenen Staates die Probleme nicht gelöst sind. Die Frage, die gestellt wird, ist, ob dieser propagierte Staat mit dem gegenwärtigen Führungsstil überhaupt einen demokratischen Charakter einnehmen kann? Auch dieser Traum ist leider zum Opfer der kurdischen Herrschaftspolitik im Irak geworden.

Hilfe der Hilfslosen 

Die Versprechungen Binali Yildirims der KRG gegenüber, die Türkei werde der KRG helfen, die Wirtschaftskrise zu überwinden, ist nichts als eine Farce. Die realen Fakten der türkischen Wirtschaft widerlegen dies. Aufgrund der politischen Krise ziehen sich die ausländischen Investoren aus der Türkei zurück. Der Tourismus liegt am Boden. Die türkische Lira verliert fortwährend an Wert. Die Mittelschicht, die bislang aus den staatlichen Ressourcen durch die AKP gefördert wurde, wird demnächst nicht mehr in diesen Genuss kommen und sich zu Wort melden. Es ist nicht zutreffend zu glauben, dass die „Mehrheit“ der türkischen Bevölkerung aus ideologischen Gründen die AKP unterstützt. Vielmehr gibt es eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Während seiner Regierungszeit hat die AKP eine weit ausgebereitet Politik der wirtschaftlichen Abhängigkeit installiert. Einst wurde dies unter dem Namen „Grüne Wirtschaftspolitik“ geführt. Grün soll hier den Islam symbolisieren.

Hinzu kommt der totale Kriegskurs der AKP. Der Krieg kostete dem Land viel aus der Staatskasse. Die Türkei führt Krieg in Syrien, Irak und streckt seine Arme auf in andere Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Dies kommt dem Lande teuer zu. In diesem Zusammenhang ist das Versprechen von Binali Yildirim, der KRG oder Bagdad durch wirtschaftliche Zusammenarbeit helfen zu wollen, nur verbaler Natur. Die Türkei braucht selbst Hilfe.

Aber auch militärisch haben weder die Türkei noch diejenigen Kräfte, die von der Türkei um Hilfe gebeten wurden, also Erbil und Bagdad, die militärische Kapazität einen erfolgreichen Krieg gegen die PKK zu führen. Die türkische Armee hat nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli ihre Kampfmotivation verloren. Tausende von Militärmitgliedern sitzen im Gefängnis. Viele haben sich ins Ausland abgesetzt. Zuletzt wurde durch ein Dekret mit Gesetzescharakter (KHK) dem Generalstabschef Hulusi Akar, also dem höchsten Militärvertreter der türkischen Armee, die Kompetenzen entrissen und an Erdogan übertragen.

Aufgrund ihrer militärischen Schwäche sah sich die Türkei in Syrien auch gezwungen, Aleppo aufzugeben und sich gegen die Kurden in Nordsyrien zu konzentrieren. Die bisherigen Stellvertreter der türkischen Kriegsführung in Syrien wie die Freie Syrische Armee, Al Nusra und Ahrar al-Sham fühlten sich in Aleppo von der Türkei verraten und verkauft, weshalb sie heute nicht mehr wie gewünscht in al Bab (Nordsyrien) kämpfen können. Deshalb kämpft die türkische Armee jetzt an vorderster Front und muss große Verluste in den eigenen Reihen in Kauf nehmen. Es ist fast unmöglich mit einer konventionellen Armee gegen die IS oder andere derartige Banden vorzugehen, da diese asymmetrischen Kriegstaktiken folgen. Dennoch setzt die Türkei ihre ganze Kraft in al Bab ein, um nur zu verhindern, dass die Kurden hier keinen Korridor zwischen den Kantonen Afrin und Kobane öffnen.

Aber auch die irakische Armee samt den Spezialeinheiten der schiitischen Miliz ist seit vergangenem Oktober bei der Befreiungsoffensive von Mosul in einer Sackgasse. Sie erlitten schwere Verluste, was den Verlust der Kampfmotivation von Soldaten zur Folge hatte. Diese Verluste entstehen trotz der großzügigen Hilfe aus den USA und dem Iran. Aber auch die Peschmerge der KDP können nicht die erhofften Erfolge, trotz großzügiger Unterstützung aus dem Ausland erzielen.

Der türkische Kurdenkrieg – Eine aktuelle Situationsanalyse (2)
​
Nilüfer Koc, Kurdistan Nationalkongress (KNK), 12.01.2017 http://civaka-azad.org

Bei seinem Besuch in Bagdad und Erbil schlug der türkische Ministerpräsident seinen Gastgebern einen Kuhhandel vor: Gebt mir Sinjar (Shengal) und ich ziehe meine Truppen aus Bashiqa zurück. Dass die Türkei nicht einfach so sich aus dem irakischen Territorium zurückziehen würde, war klar. Denn Mosul hat für die Türkei eine strategische und historische Bedeutung. Bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches war der Irak in die drei Osmanischen Vilayets Mosul, Basra und Bagdad aufgeteilt. Das Gebiet Mosul befasst damals die gesamten kurdischen Siedlungsgebiete im heutigen Irak. Mosul war sowohl für die Türkei als auch für Großbritannien ein strategisches Gebiet, weshalb seine Aufteilung nicht in den vier Lausanner Konferenzen 1923, sondern erst durch die Sonderdiplomatie zwischen den Türken und Briten beschlossen wurde. Erst 1926 wurde Mosul durch den Vertrag von Ankara an den Irak abgetreten. Die Türkei hat dies bis heute nicht verdaut. Erdogan und die AKP haben es sich daher zu einem strategischen Ziel erklärt, dieses Gebiet bis 2023 zu einem Teil der Türkei zu machen. Expliziert hierfür hat die AKP eine Landkarte für die Türkei von 2023 ausgearbeitet. Auf dieser Karte sind die damaligen osmanischen Provinzen Aleppo (Syrien) und Mosul (Irak) zu sehen. Aleppo bedeutet in diesem Zusammenhang die gesamte Region Nordsyrien/Rojava. Mosul bedeutet heute ganz Irakisch-Kurdistan. In 2023 wird der Lausanner Vertrag 100 Jahre alt und soll laut türkischer Behauptungen seine Wirkung verlieren. Aus diesen Gesichtspunkten heraus betrachtet, entspricht das Versprechen vom türkischen Ministerpräsidenten nicht der Wahrheit. Yildirim erklärte der Weltöffentlichkeit auf seiner Pressekonferenz in Bagdad am 7. Januar, „die Türkei würde es in Erwägung ziehen, ihre Truppen aus Bashiqa zurückzuziehen“. Auch der irakische Ministerpräsident deutete am, dass die Türkei ihm dies zugesichert hätte. Aber nur fünf Tage nach dem Besuch Yildirims erklärte dann der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik, die Türkei würde sich erst aus Bashiqa zurückziehen, wenn Mosul befreit ist.

Von Aleppo nach Mosul

Nach ihrer Niederlage in Aleppo im Dezember vergangenen Jahres wird sich die Türkei auf Mosul konzentrieren. Ihre Militärpräsenz im Nordirak kann die Türkei mit der Kampffähigkeit des IS in Mosul begründen. Mit seinem Angebot „Sinjar gegen Bashiqa“ versuchte Binali Yildirim tatsächlich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie will die PKK aus Sinjar vertreiben, um selbst in der Region die Kontrolle zu erlangen und so das Grenzgebiet zu Rojva/Nordsyrien zu kontrollieren. Und selbst wenn der Irak und die KRG auf die Türkei hierbei eingehen würden, ist kaum zu erwarten, dass dann die Türkei ihren Teil des Handels erfüllt und sich aus Bashiqa zurückzieht. Zumindest ist dies nicht mit dieser AKP und ihrer Landkarte für das neue Türkische Reich für das Jahr 2023 zu denken.

Und auch hier liegt ein Grund dafür, weshalb der türkische Staat sich derzeit rasant zu einer Diktatur entwickelt. Ähnlich wie in anderen Diktaturen glaubt Erdogan den türkischen Staat über die Ein-Mann-Diktatur zu einem straffen und besser kontrollierbaren Gebilde umformen zu können, um damit die Expansion bis zum Jahr 2023 zu vollziehen. Der Krieg gegen die Kurden, und vor allem gegen die PKK wird aus den gleichen Motiven heraus geführt. Denn die kurdischen Kräfte stellen das schwierigste Hindernis für die Expansion des erträumten türkischen Reiches dar. Und den härtesten Brocken stellt hierbei sicherlich die PKK dar.

Außerdem ist es den Eziden in Sinjar mit Hilfe der PKK gelungen, ihre eigenen Streitkräfte aufzubauen. Ferner haben sie nach dem IS Angriff im August 2014 auch eigene autonome Verwaltungsstrukturen aufgebaut. Sinjar ist der Lebensraum der Eziden. Und auch sie werden sich nicht der Türkei ergeben. Außerdem haben sie von der PKK die Garantie, dass diese im Notfall an ihrer Seite steht. Die Eziden aller politischen Couleur glauben an die PKK, da sie von ihr gerettet worden sind. Außerdem finden sie Gefallen an der „Hilfe-zur-Selbsthilfe“-Politik der PKK. Das bedeutet, dass der Wunsch der Türkei die Region Sinjar vor der PKK zu bereinigen, um sich selbst dort einzunisten, selbst mit der Hilfe Bagdads und Erbils nicht so einfach zu verwirklichen ist.

Kampf der Herrscher gegen den Zeitgeist

Und dann kommt noch die Frage von Mosul dazu. Die Türkei ist nur eine von mehreren Akteuren, die ihre Fühler auf die Stadt ausstrecken. Und selbst wenn unterschiedliche Akteure in der Mission, den IS aus Mosul zu vertreiben, zusammengekommen sind, so gibt es doch keine Einigkeit unter ihnen, wie es in der Stadt nach dem IS weitergehen soll.

Mosul ist mit seinen vielen Volks- und Glaubensgemeinschaften wie eine kleine Version des Iraks. Deswegen bringt die Suche nach einer Lösung für die Zukunft dieser Stadt zugleich auch eine Infragestellung der bisherigen Staatsverwaltung des Iraks mit sich. Bislang ist der Irak in 19 Gouvernements unterteilt. Die Autonome Region Kurdistans beherbergt davon vier. Obwohl in der irakischen Verfassung Demokratie und Pluralismus groß geschrieben sind, galt dies zunächst nur für die drei großen gesellschaftlichen Gruppen des Landes: Die Kurden, die Sunniten und die Schiiten. Nachdem der IS am 9. Juni 2014 die Region Mosul angriff, wurden vor allem die turkmenischen Schiiten, die Christen und die ezidischen und Shabak-Kurden ihre ersten Opfer. Das Trauma dieser Erfahrung hat diese Gruppen dazu gezwungen, ihr Existenzrecht selbst in die Hand zu nehmen. Heute plädieren sie für eine Lösung jenseits der Regelung von Gouvernements. So fordern zum Beispiel die Christen für die Region Ninova eine christliche Autonomie mit eigener Verteidigung, Bildung etc. Die Eziden, die nördlich von Mosul in der Sinjar Region leben, wollen hier ihre eigene Armee, Verwaltung, Bildung etc. Die schiitischen Turkmenen im Gebiet Tel-Afar fordern dasselbe. Niemand kann diesen Völkern und Glaubensgemeinschaften das Recht auf Selbstbestimmung nehmen, da diese im gegenwärtigen Irak besonders stark gefährdet sind.

Auch wenn die Eziden, Kakai, Yaresan, Faili, Shabak ethnisch gesehen zu den Kurden zählen, so haben sie im Gegensatz zu den mehrheitlich muslimisch geprägten Kurden eine vollkommen andere Lebensphilosophie und einen eigenen Glauben. Jene, die in den Grenzen des KRG leben, wollen mehr autonome Rechte. Dazu kommt auch, dass die Hawraman-Kurden in der kurdischen Autonomieregion das Recht auf Bildung in ihrem eigenen Dialekt, also Hawrami anstatt Sorani, fordern. Ähnliche Forderungen stellen auch die Christen gegenüber der KRG. Die Liste der Glaubens- und Volksgruppen, die ähnliche Forderungen stellen, könnte an dieser Stelle noch verlängert werden.

Noch wiedersetzen sich die Vertreter der drei dominanten Gruppen im Irak diesen Forderungen.  Grund hierfür sind ihre eigenen Machtinteressen, weswegen sie auf eine stärkere Zentralisierung und Kontrolle der Gesellschaft setzen. Doch die Forderungen von „unten“ nach mehr Sicherheit, Frieden, Demokratie und Wohlfahrt gehen einher mit den Forderungen nach Dezentralisierung, Autonomie und Selbstverwaltung. Der Zentralismus hat deshalb perspektivisch in dieser Gegend keine Chance mehr.

Der Weg zur totalen Diktatur gestaltet sich schwierig

Neben den wirtschaftlichen Problemen, haben Ankara, Erbil und Bagdad auch mit militärischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wenn man dann noch den schwachen Rückhalt aus der eigenen Bevölkerung hinzunimmt, lässt sich kaum vorstellen, dass den Drohungen der jüngsten Tage gegen die PKK auch Taten folgen werden.

In der Türkei beispielsweise hat die AKP bereits aufgrund der ungelösten kurdischen Frage massive Probleme, ihr Konzept der totalen Diktatur umzusetzen. Hinzu kommt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich der stille Unmut der türkischen Bevölkerung gegenüber AKP auf den Straßen reflektieren wird. Bereits jetzt schlägt die Unzufriedenheit und Angst der Kemalisten und Sozialdemokraten über das Vorhaben der AKP breite Wellen. Sie stellen sich gegen die neue Verfassung, welches das Präsidialsystem vorsieht. Intern steht die Türkei vor einer strategischen Entscheidung. Wird sie ihr ohnehin schwaches parlamentarisches System beibehalten, oder werden Exekutive, Legislative und Judikative fortan einzig und allein unter die Kontrolle Erdogans stehen, wie es der neue Verfassungsentwurf vorsieht. Das Parlament debattiert seit einigen Tagen über diesen Entwurf.

Mit solchen internen Schwierigkeiten kämpfend, kann keine starke Außenpolitik gemacht werden. Die Eskalation des Krieges mit der PKK dazu beitragen, dass die Bevölkerung über diese Realität hinwegsieht und „unterhalten“ wird. So lässt sich dann auch die neue Verfassung einfacher, an der Aufmerksamkeit der Bevölkerung vorbei, durch das Parlament verabschieden.

Auch der Irak steckt in einer Systemkrise

Interne politische Probleme gibt es auch in Bagdad. Das Regime ist nicht in der Lage, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. In der Hauptstadt Bagdad explodieren ständig Bomben an denselben Orten im Bazar. Und selbst das können die Sicherheitskräfte nicht verhindern. Die Fluchtwellen aus den umkämpften Regionen stellen eine weitere Problematik dar, die Bagdad nicht lösen kann.

Zudem stellen die ethnischen und religiösen Gemeinschaften im Irak das derzeitige Staatssystem zunehmend in Frage. Einst war das „föderale“ System gemeinsam mit den USA ausgearbeitet worden. Heute droht es zu scheitern. Denn von verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften wird die Forderung nach mehr Autonomierechten laut. Ferner drohen die Kurden im Norden des Landes permanent mit ihrer Trennung und der Gründung eines kurdischen Staates. Auch die schiitischen Araber fordern mehr Rechte, als die jetzigen Gesetze bieten können. Die Angriffe des IS seit 2014 haben allen bedrohten ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu denken gegeben, sich fortan selbst schützen zu wollen, da sie weder von Bagdad noch von Erbil aus ihre Sicherheit als gewährleistet sehen.

Dem Autonomiegebiet Kurdistan geht es auch nicht besser. Seit mehr als einem Jahr ist das Parlament de facto außer Kraft gesetzt. Die Regierung hat sich zu einem PUK-KDP Parteien Duett entwickelt. Unter sich wiederrum haben beide Parteien ihre Machtzonen und Grenzen. In fast allen Städten kommt es zu täglichen Protesten gegen die wirtschaftliche Misere. Die Kluft zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander. Das Bildungssystem ist quasi brachgelegt worden, da die Lehrkräfte sich im ständigen Streit um ihre Löhne befinden. Auch im Gesundheitswesen drückt sich diese Krise aus. Mediziner ziehen es vor, aufgrund von besseren wirtschaftlichen Verhältnissen ins Ausland zu ziehen. Viele Arztpraxen und Krankenhäuser wurden innerhalb eines Jahres geschlossen. Die Kette der Misere kann mit vielmehr Beispielen ausgeweitet werden.

Sieg in Aleppo führt zur verstärkten Offensive des Irans

Das interessante an der Triade Ankara-Erbil-Bagdad ist, dass jeder von der schlechten Lage des anderen Bescheid weiß. Zudem kommt die kontroverse außenpolitische Kombination hinzu. Während Bagdad zwischen Washington und Teheran balanciert und dabei aus konfessionellen Gründen (Bagdad-Iran sind schiitisch) mehr zum Iran neigt; tendiert die KRG zu Washington-Ankara. Sowohl der Iran als auch die USA haben aber gegenwärtig ein Problem mit der Türkei. Nach ihrem Sieg in Aleppo befindet sich der Iran gegenwärtig in der Offensive. Daher wird sie ihren strategischen Partner Irak genauestens beim Deal mit der Türkei beobachten.

Kaum hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Bagdad verlassen, kündigte sich deshalb auch schon hochrangiger Besuch aus dem Iran an. Bijan Namdar Zanganeh, iranischer Minister für Öl, kommt mit dem Projekt das kurdische Öl aus Kirkuk über den Iran anstelle der Türkei zum Markt zu führen. Mit diesem Projekt will der Iran auf die Wirtschaftspolitik zwischen Erbil-Ankara Einfluss nehmen. Denn den größten Teil des Erdöls aus Kirkuk liefert die KRG zu sehr günstigen Preisen an die Türkei und stärkt damit die schwache türkische Wirtschaft. Nicht die KRG, sondern die Türkei profitiert von diesem Deal. Während der Iran mit der Türkei bezüglich des syrischen Bürgerkriegs in der kasachischen Hauptstadt Astana am Tisch sitzt, versucht Teheran  zugleich mit allen Mitteln die Türkei zu schwächen. Dazu zählt auch der Angriff auf den Ölhandel zwischen Türkei-KRG-Irak. Ferner verfügt der Iran mit der schiitischen Miliz über eine militärische Präsenz im Irak, insbesondere um Mosul herum.

Um Mosul herum sind sowohl die schiitische Miliz, bekannt als Hashd al-Shaab, als auch die sunnitischen Milizen Hashd al-Watani aktiv. Letztere werden vom ehemaligen Gouverneur von Mosul Asil Nuceyfi geführt, der äußerst enge Kontakte zu Ankara pflegt. Und so werden die Hashd al-Watani Milizen großzügig von der Türkei unterstützt. Hinzu kommt noch, dass eine paramilitärische Armee der Türkei mit dem Namen SADAT diese sunnitischen Gruppen militärisch trainiert. Offiziell ist SADAT eine Firma zur Beratung und Unterstützung von militärischen Angelegenheiten. Ihr Chef Adnan Tanriverdi ist ein ehemaliger General der türkischen Armee und seit August 2016 einer der Chefberater Erdogans.

Auch in Sachen Mosul, wird der Iran alles daran setzen, dass der türkische Traum zur Annektierung von Mosul in 2023 nicht zustande kommt. Auch wenn die Türkei nach der Niederlage von Aleppo in Moskau mit dem Iran am selben Tisch saß und dies erneut am 23. Januar in Astana tun wird, so bedeutet dies nicht, dass der türkisch-persische Machtkampf im Nahen Osten beendet ist. Der Iran verfolgt weiterhin die Machtstrategie den schiitischen Halbmond (Iran, Irak, Libanon, Syrien etc.) zu expandieren, und wird alles daran setzen, die Expansion der sunnitische Machtstellung in Form der Türkei zu verhindern. Dies geschah bislang über den Stellvertreterkrieg in Syrien und Irak.

Nach dem Sieg Russlands, des Irans und des Baath Regimes in Aleppo hat die Türkei die Niederlage hinnehmen müssen und eine Trendwendung von der aktiven Konfrontation zur Scheinkooperation vollzogen. Die türkische Niederlage in Syrien und Rojava hat Ankara dazu gezwungen, aus den Feinden Freunde machen zu müssen.  Seit dem Beginn des Syrienkrieges in 2011 war die Türkei durch die Unterstützung von Organisationen wie IS, Al-Nusra usw. federführend für das „sunnitische Lager“. Genauso pflegte sie rege diplomatische, wirtschaftliche und militärische Kontakte mit Saudi Arabien und Katar und bekämpfte mit diesen das schiitische Lager. Dies drückte sich insbesondere in ihren radikalen Anti-Assad Haltung aus. Doch diese Haltung gehört wohl nunmehr der Vergangenheit an.

Die Belastung der USA-Türkei Beziehung 

Gegenüber Kritik aus Washington und Brüssel drohte die Türkei sich vom Westen ab- und in Richtung Osten, genauer in Richtung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) zuzuwenden. Ausgangspunkt für diesen Richtungswechsel ist allen voran die militärische Intervention der Türkei in Syrien. Man hatte der Türkei einen gewissen Freiraum für die Intervention nach Syrien in Form eines Einmarsches nach Dscharablus im späten August letzten Jahres gewährt. Dies tat die USA selbstverständlich auf Kosten der Kurden  Allerdings musste die USA schnell ihre Augen öffnen, da die Türkei sich mit Dscharablus nicht begnügen wollte. Der Drang weiter nach Aleppo zu gelangen, wurde dann vom Regime, Russland und dem Iran beendet. Ihrer Kapitulation nach Aleppo folgend, wandte sich die Türkei dem schiitischen Block zu.  Der Ton aus Washington wurde immer rauer, weshalb es unter anderem zu dem starken Verlust des Lira Kurses kam.

Der türkische Kurdenkrieg – Eine aktuelle Situationsanalyse (3)
​
Nilüfer Koc, Kurdistan Nationalkongress (KNK), 12.01.2017 http://civaka-azad.org

Neben ihren übrigen außenpolitischen Bemühungen im Sinne der Anti-Kurdenpolitik ist die AKP auch bemüht, unter den Kurden die traditionelle „Teile-und-Herrsche“ Politik zu inszenieren. In Erbil forderte der türkische Ministerpräsident die KDP von Masoud Barzani auf, die PKK aus Sinjar herauszudrängen. Damit wollte Yildirm den, in den letzten Jahren begonnen Dialog zwischen der PKK und der KDP kappen und in einen Bruderkrieg führen. Er hat aber nicht verstanden, dass die PKK alles daran setzten wird, nicht gegen eine andere kurdische Bewegung vorzugehen. Weder die PKK noch eine andere kurdische Bewegung wird aus politischen Differenzen kurdischen Errungenschaften wie die Autonome Region Kurdistans aufs Spiel setzten. Der föderale Status der kurdischen Region im Irak ist eine gesamtnationale Errungenschaft aller Kurden und nicht das Monopol einer Partei, auch wenn die KDP in den letzten 70 Jahren eine prägende in Irakisch-Kurdistan gespielt hat. Ein von der Türkei vorgesehener Krieg zwischen der KDP und PKK würde vielmehr Südkurdistan als den beiden Parteien schaden. Sowohl die PKK als auch die KDP sind sich dieser Gefahr bewusst.

Die PKK hat es leichter, den politischen Dialog mit der KDP aufrechtzuhalten, während die KDP hierbei mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Denn durch den Öl-Handel ist sie in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der AKP geraten, welche sie erpressbar macht. Hinzu kommt, dass die KDP im Namen der KRG einen Vertrag zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit der Türkei für weitere 50 Jahre unterzeichnet hat. Bislang kennt man nicht die Details dieses Abkommens. Die Drohung aus Ankara ist allerdings stets dieselbe: „Entweder kämpfst du gegen die PKK oder die Pipeline wird dicht gemacht.“ Aktuell finden diese Erpressungen und Drohungen gegen die Präsenz der PKK in Sinjar statt.

Die Haltung der PKK gegenüber Ankara ist klar. Sie wird weder zulassen, dass Sinjar unter türkische Kontrolle gerät, noch dass etwas Derartiges mit Mosul passiert. Deshalb debattieren die PKK und KDP seit einigen Monaten über eine kurdische Lösung in Sinjar.

Allerdings sind die Fragen um Sinjar, Mosul oder auch Nordsyrien/Rojava keine Probleme, die es allein unter der PKK und der KDP zu lösen gilt. Diese Probleme müssen auf einem gesamtkurdischen Kongress behandelt werden, um eben gesamtkurdische Lösungsansätze zu entwickeln. Auf einem solchen Kongress müssen die Kurden für die gesamte Region gemeinsame Strategien für Verteidigung und Diplomatie entwickeln. Sie müssen gemeinsam über die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Kurden in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien beraten.

Die gegenwärtigen Gefahren zwingen die Kurden zu gemeinsamen Schritten. Hier stehen die politischen Vertreter der Kurdinnen und Kurden vor einer historischen Verantwortung. Daher war es wichtig, dass die PKK zum Ende des letzten Jahres erneut zu einem kurdischen Kongress aufgerufen und aus diesem Grund auch den Dialog mit der KDP aufgenommen hat. Es ist auch wichtig, dass sich die KDP für einen solchen Dialog bereit erklärt hat und diesen fortsetzten will.

Türkische Niederlage in Syrienkrieg

Mit allen Mitteln hat die Türkei seit 2010, dem Beginn des sogenannten arabischen Frühlings, alles daran gesetzt, um diese Umbruchphase für ihr eigenes Bestreben nach Machtexpansion zu nutzen. Sechs Jahre danach hat die Türkei Schritt für Schritt ihre eigentlichen Absichten, die sie zu Anfang verdeckt verfolgte, offenlegen müssen. Der angebliche türkische Anti-IS-Kampf im Rahmen der Internationalen Koalition war nichts als eine Fassade. Die Maske verlor die Türkei im Kampf gegen die Kurden in Rojava. Denn, was die Türkei gegenüber der Internationalen Koalition und der Weltöffentlichkeit eigentlich verdecken wollte, war die Tatsache, dass es ihr von Anfang an darum ging, die Errungenschaften der Kurden in Rojava zunichte zu machen. Doch jeder militärische Sieg der Kurden gegen die IS in Rojava und in Nordsyrien hat die Türkei aus der Bahn gebracht. Mit dem türkischen Einmarsch in Dscharablus im vergangen August hat sie dann die Strategie eines Stellvertreterkrieges gegen die Kurden mit Hilfe des IS und anderen Islamisten verworfen, um selbst militärisch aktiv zu werden. Nun ist die türkische Armee selbst in Nordsyrien präsent und versucht mit all ihrer Kraft zu verhindern, dass die Kurden und jene ethnische und religiöse Gruppen, die mit den Kurden bei der Entwicklung der Demokratischen Föderation Nordsyrien  mitwirken, ihr System weiter ausbauen.

Entgegen türkischer Behauptungen, die Kurden von Rojava würden hier einen eigenen Staat oder eine kurdische Föderation nach dem irakischen Vorbild von 2003 aufbauen wollen, haben es die Völker der Region unter der Führung von Kurden geschafft, innerhalb der letzten sechs Jahre die Grundlage für die Ausrufung der Demokratischen Föderation Nordsyrien aufzubauen. Ende Dezember beschlossen die Kurden, Araber, Armenier, Assyrer und Tschetschenen einen gemeinsamen Entwurf für den neuen Gesellschaftsvertrags. Binnen der nächsten sechs Monate sollen nun die Bürgerinnen und Bürger Nordsyriens über den 15-seitigen Gesellschaftsvertrag abstimmen. Es wird der Türkei schwer fallen, am 23. Januar in der Syrienkonferenz von Astana die Beteiligten zu überzeugen, dass die Kurden Separationsbemühungen anstreben.

Partnerwechsel der Türkei: von der sunnitischen zur schiitischen Achse

Durch den gemeinsamen Entwurf des neuen Gesellschaftsvertrags für die Demokratische Föderation von Nordsyrien hat sich die Behauptung Ankaras, die Kurden möchten sich von Syrien für einen kurdischen Staat abspalten, nicht bestätigen lassen. Denn über dieses Argument versuchte sie im vergangenen Jahr neue Partner für ihre Anti-Kurden-Strategie zu gewinnen. Entgegen ihrer bisherigen Partner wie Saudi Arabien, Katar und die übrigen sogenannten Kräfte des sunnitischen Lagers sind ihre neuen Partner nun Russland, China, Syrien und der Iran. Diese Staaten sind bekannt für die Zentralisierung der Macht und weisen daher selbst starke Demokratiedefizite auf. Das Prinzip von alle Macht dem Staat führte in diesen Ländern zur Entmündigung der eigenen Bevölkerung. Daher glaubt die Türkei, hier eher Anknüpfungspunkte für ihre eigene politische Haltung finden zu können. Sie alle haben große Ängste bezüglich der Demokratieforderung der ethnischen und religiösen Gemeinschaften innerhalb ihrer Staatsgrenzen. Die Türkei glaubt hier verstanden zu werden. Allerdings kann sie mit dem Argument der kurdischen Abspaltung in Syrien nicht viel erreichen, da die Kurden sich als Teil des zukünftigen Syriens betrachten und daher diesen Staat unbedingt demokratisieren wollen.

Nach der erfolgreichen Befreiung der Region Minbic am 13. August 2016 durch die Demokratischen Streitkräfte Syriens mit Beteiligung der YPG und YPJ marschierten türkische Streitkräfte am 24 August mit der Operation „Schutzschild Euphrat“  im Norden Syriens ein und kontrolliert seitdem die nördliche Region von Shehba, die Stadt Dscharablus und Orte wie Dabiq und Soran.

Vor dem Einmarsch wurde mit dem IS verhandelt, damit es diese Gebiete räumt und den Raum für die Kräfte der Freien Syrischen Armee, die mit der Türkei kooperieren, öffnet. Gemeinsam mit den Kräften der FSA kämpfte die türkische Armee sich vor bis hin zu der kritischen Region um al-Bab.

Bis dato trat die Türkei rein äußerlich in Syrien als NATO-Partner innerhalb der Internationalen Koalition im internationalen Kampf gegen den IS auf. Sie versuchte mit allen Mitteln allen voran die USA aber auch andere Mitglieder der Koalition dazu zu drängen, dass diese die YPG/YPJ und politische Kräfte wie die PYD mit dem IS als Terrororganisation gleichsetzen. Hierbei war sie erfolglos. Die internationale Koalition agiert allerdings selbst vor Ort und verfügt über beste Informationen, wer tatsächlich erfolgreich gegen den IS und andere islamistische Gruppierung kämpft und wer nicht.

Kurdische  Demokratie hindert türkische Expansion 

Nicht nur in Nordsyrien auch in der Türkei kämpfen die Kurden für Demokratie, da sie ihr Recht auf Selbstbestimmung durch Demokratisierung der jeweiligen Besatzerstaaten Kurdistans umsetzen wollen. In Nordsyrien wurde diesbezüglich eine Revolution im wahrsten Sinne des Wortes vollzogen. Ende Dezember nun einigten sich alle Komponente Nordsyriens auf die Demokratische Föderation Nordsyriens. In dem 15-seitigen Entwurf des Gesellschaftsvertrags wurden alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften als gleichberechtigte Bürger mit ihren Rechten und Pflichten für den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft manifestiert. Auch wenn nationalistisch gesinnte Kurden eine große Gegenkampagne hiergegen gestartet haben, so erklärten alle Beteiligten der Konferenz im Dezember, dass sie Völker Syriens sind und über Nordsyrien auf ein demokratisches Modell für das gesamte Syrien hinarbeiten wollen.

Auch in der Türkei hatte sich der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan in dem Verhandlungsprozess mit dem türkischen Staat zwischen Dezember 2012 und April 2015 darum bemüht, die Türkei über die verfassungsrechtliche Lösung der kurdischen Frage zu demokratisieren.

Rückblickend auf die fast dreijährigen Verhandlungen zwischen Öcalan und des türkischen Staates kann gesagt werden, lässt sich anhand der heutigen Lage der Türkei besser verstehen, warum Öcalan unglaubliche Bemühungen aufgebracht hat, um auf die AKP einzugehen und diese am Verhandlungstisch zu halten. Mehrmals hat er darauf hingewiesen, dass die Heilung der Türkei von der Lösung der kurdischen Frage abhängt. Öcalans Strategie war im Grund ein intensiver Kampf für die Demokratisierung der Türkei über die Lösung der kurdischen Frage.

Erst jetzt wird deutlich klar, warum Öcalan so offensichtlich und beharrend auf den Friedensprozess bestand. Zu gut konnte er vorhersehen, dass die Türkei die Verluste der Gebiete durch den Lausanner Vertrag nicht verdaut hatte und dass die AKP das politische Vakuum entfacht durch den arabischen Frühling für die Realisierung eines türkischen Reiches nach Osmanischem Vorbild ausnutzen würde. Jede Äußerung von Erdogan nach April 2015, dem Ende der Verhandlungen mit Öcalan, bestätigten die Befürchtungen von Öcalan. Erdogan nahm kein Blatt vor dem Mund und sagte immer wieder, dass er eine kurdische Autonomie in Nordsyrien nicht erlauben und die Türkei den Fehler aus dem Jahr 2003 in Nordirak (die Gründung der KRG) nicht wiederholen wird.

Öcalan wusste im Voraus, dass die Türkei mit der AKP der Politik des Neo-Osmanischen Reiches folgen wird. Der 4. Kongress der AKP in September 2012 fand unter dem Motto „Große Nation, Große Macht, Ziel 2023“ statt. Hier erklärte Erdogan, dass der erste Schritt in Richtung 2023, also dem 100. Jahrestag des Lausanner Vertrags (Aufteilung des Osmanischen Reiches), und dann der zweite Schritt 2071 sein würden. Er sagte auch, dass er den zweiten Schritt nicht erleben wird, aber die Generation nach ihm diesen Schritt weiter verfolgen werde. Vor etwas 1000 Jahren, also 1071 nach Chr., wanderten die ersten Turkstämme von den mongolischen Steppen aus nach Mesopotamien und Anatolien, wo sie später das Osmanische Reich gründeten.  Die Umwälzung im Nahen Osten mit dem arabischen Frühling und vor allem dem Syrienkrieg ab 2011 hatten den Appetit der Türkei für die Realisierung dieses Traumes vergrößert.

Öcalan hatte mit großen Risiken versucht, den Staat zu überzeugen, dass der türkische Traum vom großen Reich gefährlich ist und dass die Kurden dies nicht akzeptieren werden.

Der Krieg in Irak und Syrien wird im Kern ein Kampf zwischen den Kurden und der Türkei sein. Erdogan will bis 2023 die verlorenen Gebiete des 20. Jahrhunderts wiederhaben. Hierfür verändert er die Strukturen der türkischen Republik und zu diesen Zwecken will er die neue Verfassung durch bekommen, um mit der Diktatur besser expandieren zu können. Er will als der zweite Atatürk in die Geschichte eingehen. Als Hindernisse stehen ihm die Kurden, vor allem aber die PKK im Weg. Die kurdische Vorstellung vom 21. Jahrhundert sieht die Anerkennung des kurdischen Volkes durch die Besatzerstaaten und die internationalen Politik vor. Das bedeutet aber auch, dass die Kurden die von der Türkei beanspruchten Gebiete um Aleppo und Mosul der Türkei nicht überlassen werden. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert sind die Kurden heute nicht allein, sondern haben es geschafft, mit den Völkern, die in den Gebieten um Aleppo und Mosul leben, eine gemeinsame Zukunftsperspektive zu entwickeln.

Ein weiterer Vorteil für die Kurden ist, dass die britisch-französische Nahost-Kolonialpolitik des 20. Jahrhunderts gescheitert ist. Die Ziehung von künstlichen Grenzen zwischen Staaten über die Köpfe der Völker hinweg, wie es vor 100 Jahren durch das Sykes-Picot Abkommen und die Friedensverträge von Sevres und Lausanne beschlossen wurde, ist desaströs an die Wand gefahren. Im Gegensatz zu dieser Politik ist die Erfahrung mit föderativen Modellen wie in den USA oder Russlands zwar auch keine Lösung, berücksichtigt aber zumindest  die Pluralität der Region. Dieser Ansatz ist also das kleinere Übel. Hier setzt auch die Lösung von Öcalan und der PKK an, geht aber weiter. Denn föderative, autonome, konföderale Strukturen sind im Gegensatz zu zentralisierten Nationalstaaten ausbaufähig. Es wird von den Geschicken der kurdischen Politik und Diplomatie abhängen, auf Grundlage des  gemeinsamen Nenners mit den Völkern hinsichtlich föderaler Strukturen ihren Lösungsansatz gegenüber den Global Playern durchzusetzen.  Die Erfahrung in Nordsyrien, also dem  Aufbau der demokratischen Föderation Nordsyriens, kann hierfür einen ersten Anfang darstellen.

Allen voran wird es die Türkei sein, die gegen den kurdischen Modellvorschlag vorgehen wird. Der türkische Kurs läuft in Richtung Diktatur, während der kurdische sich auf die Demokratie zubewegt. Es mag wie ein kurdisch-türkischer Krieg aussehen. Jedoch werden auch die Entscheidungen der übrigen Mächte in der Region den Lauf sehr stark mit beeinflussen. Daher wird zunächst wichtig sein, zu sehen wie die türkische Bevölkerung auf den neuen Verfassungsentwurf zur Manifestierung einer türkischen Diktatur reagieren wird. Zweitens wird die politische Haltung der NATO Partner wichtig sein. Eine türkische Diktatur wird ohnehin keine Zustimmung finden, da es Konsequenzen für alle haben wird, die es mit der Türkei zu tun haben. Jedenfalls muss auf die Frage, was gemacht werden kann, um den Wandel der Türkei in Richtung einer Diktatur zu verhindern, auf alle Fälle mit der Anerkennung der Kurden geantwortet werden.

bottom of page