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Jahrtausende nach der Errichtung des Patriarchats (was ich den »ersten großen sexuellen Umbruch« nenne) wurde Frauen ein weiterer Schlag versetzt, von dem sie sich bis heute noch nicht erholt haben. Ich rede von der Intensivierung des Patriarchats durch monotheistische Religionen.

Die Mentalität der Zurückweisung der natürlichen Gesellschaft vertiefte sich im feudalen Gesellschaftssystem. Religiöses und philosophisches Denken konstituierten die herrschende Denk- weise der neuen Gesellschaft. In der gleichen Weise, wie die su- merische Gesellschaft die Werte der neolithischen Gesellschaft in ihr eigenes, neues System aufgenommen hatte, nahm die feudale Gesellschaft die moralischen Werte der unterdrückten Klassen des alten Systems und der widerständigen ethnischen Gruppen aus den abgelegenen Gegenden in ihre eigenen internen Strukturen auf. Die Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus spielte in diesem Prozess eine entscheidende Rolle.

Die mythologischen Aspekte der Denkweise wurden mit reli- giösen und philosophischen Konzepten erneuert. Die aufstre- bende Macht des Imperiums spiegelt sich in der Vielzahl machtloser Götter, die sich in einem allmächtigen, universalen Gott vereinigten.

Die Kultur bezüglich der Frauen, die von den monotheisti- schen Religionen entwickelt wurde, führte zum zweiten großen sexuellen Umbruch. Die durch den ersten Umbruch in der mythologischen Ära entstandene Kultur erlangte nun als »göttli-ches Gebot« Gesetzesrang.

 

Frauen als untergeordnet zu behan- deln wurde nun zum geheiligten Gebot Gottes. Die Überle- genheit des Mannes in der neuen Religion wird durch die Beziehung Abrahams mit den Frauen Sarah und Hagar darge- stellt. Das Patriarchat ist nun schon stark etabliert. Das Konku- binat wurde institutionalisiert, die Mehrehe legitimiert. Wie die erbitterte Beziehung zwischen dem Propheten Moses und seiner Schwester Mirjam zeigt, wurde der Anteil der Frauen am kultu- rellen Erbe ausgelöscht. Die Gesellschaft des Propheten Moses war eine vollkommen männliche, in der Frauen keine Rolle spielten. Dies ist, worum es im Streit mit Mirjam ging.

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In der Zeit des Königreichs Israel, das kurz vor Ende des zweiten Millenniums v. Chr. entstand, sehen wir unter David und Salomo den Ãœbergang zu einer Kultur extensiver Hausfraui- sierung. Frauen spielten unter der doppelten Bevormundung durch die patriarchale Kultur und die religiöse Staatskultur kei- nerlei öffentliche Rolle. Die beste Frau ist diejenige, die sich am besten ihrem Mann oder dem Patriarchat anpasst. Religion wird zu einem Werkzeug, um Frauen zu verunglimpfen. Zuallererst ist sie – Eva – die erste sündigende Frau, die Adam verführt hat, was zu seiner Vertreibung aus dem Paradies führte. Lilith unterwirft sich nicht Adams Gott (einer patriarchalen Figur) und befreundet sich mit dem Oberhaupt der bösen Geister (einer menschlichen Figur, die es ablehnt, Diener zu sein und Adam nicht gehorcht). Tatsächlich wurde die Behauptung der Sumerer, die Frau sei aus der Rippe des Mannes geschaffen, in der Bibel übernommen. Wie oben schon erwähnt ist dies die komplette Umkehrung der ursprünglichen Erzählung – Frauen sind nicht mehr die Erschaf- ferinnen des Lebens, sondern die Erschaffenen. Frauen werden in den religiösen Traditionen kaum als Prophetinnen erwähnt. Die Sexualität der Frauen wird als größtes Ãœbel angesehen und kontinuierlich diffamiert und besudelt. Frauen, die in den sumerischen und ägyptischen Gesellschaften immer noch einen ehrenvollen Platz innehatten, wurden jetzt zu Figuren der Schan- de, Sünde und Verführung.

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Mit dem Beginn der Ära von Jesus erschien die Figur der Mutter Maria. Obgleich sie die Mutter des Gottessohnes ist, verbleibt keine Spur ihrer vorherigen Göttlichkeit. Eine extrem ruhige, weinende Mutter (ohne den Titel der Göttin!) ersetzt die Mutter-Göttin. Der Abstieg setzt sich fort. Es ist sehr ironisch, dass eine gewöhnliche Frau von Gott geschwängert wurde. Tat- sächlich stellt die Dreifaltigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes die Synthese der polytheistischen Religionen und der monotheistischen Religion dar. Obwohl Maria auch als göttlich wahrgenommen werden sollte, fungiert sie bloß als Werkzeug für den Heiligen Geist. Dies zeigt, dass Göttlichkeit rein maskulin wurde. In der sumerischen und ägyptischen Ära wurden Götter und Göttinnen als fast gleichwertig angesehen. Sogar während der babylonischen Ära hörte man die Stimme der Mutter-Göttin laut und klar.

Frauen hatten keine andere gesellschaftliche Rolle mehr außer derjenigen der Hausfrau. Die wichtigste Pflicht war es, sich um die männlichen Kinder, die »Gottessöhne«, zu kümmern, deren Wert sich seit der mythologischen Ära gesteigert hatte. Der öf- fentliche Raum wurde der Frau komplett unzugänglich gemacht. Die christliche Praxis der heiligen Jungfrauen war im Grunde ein Rückzug in die Abgrenzung, um sich von der Sünde zu befreien. Zumindest brachte dieses heilige Klosterleben ein wenig Befrei- ung von Sexismus und Verachtung. Es gibt gute und starke, materielle und spirituelle Gründe für die Wahl des Klosterlebens anstatt des höllischen Lebens zu Hause. Wir könnten diese Insti- tution fast die erste Partei für arme Frauen nennen. Die im Ju- dentum tief verankerte Monogamie wurde vom Christentum übernommen und geheiligt. Diese Praxis nimmt einen wichtigen

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Stellenwert in der Geschichte der europäischen Zivilisation ein. Ein negativer Aspekt ist, dass Frauen in der europäischen Zivili- sation als Sexualobjekte angesehen werden, da Katholiken sich nicht scheiden lassen dürfen.

Mit der Ankunft des Propheten Mohammed und des Islams wurde die Stellung der Frau in der patriarchalen Kultur der Wüs- tenstämme etwas verbessert. Aber in seinem Kern gründete sich der Islam auf der abrahamitischen Kultur; Frauen hatten in der Zeit des Propheten Mohammed den gleichen Status wie unter David und Salomo. Wie damals wurden Mehrehen für politische Zwecke und viele Konkubinen gerechtfertigt. Obwohl die isla- mische Ehe auf vier Frauen begrenzt ist, blieb sie im Grunde ge- nommen unverändert, da der Besitz von Harems und Konku- binen institutionalisiert wurde.

Sowohl die christliche als auch die muslimische Kultur sta- gnieren darin, die sexistische Gesellschaft zu überwinden. Die Regelungen des Christentums gegenüber Frauen und Sexualität im Allgemeinen sind die Hintergründe für die Krise des mo- dernistischen, monogamen Lebens. Dies ist die Realität hinter der Krise der sexistischen Kultur in der westlichen Gesellschaft. Dieses Problem kann auch durch den Zölibat, der von Priestern und Nonnen gefordert wird, nicht gelöst werden. Die islamische Lösung, die der Erfüllung des männlichen Triebs Priorität gibt, mit vielen Frauen in der Stellung der Hausfrau oder Konkubine, ist genauso wenig erfolgreich gewesen. Im Grunde ist der Harem einfach nur ein privatisiertes Bordell für den Gebrauch des privi- legierten Individuums. Die sexistischen sozialen Praktiken des Harems und der Polygamie spielen eine entscheidende Rolle da- bei, dass die mittelöstliche Gesellschaft hinter die westliche zu- rückgefallen ist. Während die Einschränkung der Sexualität im Christentum zur Modernität führte, hat die Ermutigung zur ex- zessiven sexuellen Erfüllung dazu geführt, dass der Islam sich in einen Zustand schlimmer als in der alten Stammesgesellschaft zurückentwickelte und somit von der westlichen Moderne über- holt wurde.

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Der Einfluss des Sexismus auf die gesellschaftliche Entwicklung ist weit größer als wir annehmen. Wenn wir die immer größer werdende Lücke zwischen der östlichen und westlichen Gesell- schaftsentwicklung analysieren, sollten wir uns auf die Rolle des Sexismus konzentrieren. Die islamische Auffassung des Sexismus hat bezüglich der Versklavung der Frau und männlicher Domi- nanz ein sehr viel negativeres Ergebnis erzielt als die westliche Zi- vilisation.

Soziale Knechtschaft ist nicht nur ein Klassenphänomen. Es gibt eine Ordnung der Unterwerfung, die tiefer versteckt ist als das Sklavenhaltersystem selbst. Das Aufweichen dieser Wahrheit trägt zur Vertiefung des Systems bei. Das grundlegende Para- digma der Gesellschaft ist ein System der Knechtschaft ohne Anfang und ohne Ende. 

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Der zweite große sexuelle Umbruch
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